DroidBlind

Android für Blinde und Sehbehinderte

Ein kurzes Accessibility-Review des Lenovo Tab Plus

31.07.2024 von Steffen | etwa 6 Minuten Lesezeit

Ein 11,5 Zoll großes Display, viel Speicherplatz, das neueste Android mit 4 Jahren Updates sowie Lautsprecher von JBL; das Lenovo Tab Plus verspricht eine ganze Menge Funktionen für unter 300 Euro. Interessant genug für mich, um dieses Gerät der oberen Einsteigerklasse auch auf seine Barrierefreiheit hin zu testen.

Warum überhaupt ein Tablet?

Zugegeben, mein Smartphone bietet mir eigentlich alles, wofür ich Android nutzen möchte. Radio, Fernsehen und Podcasts, all das ist mit jedem handelsüblichen Smartphone möglich. Zudem besitze ich schon seit einiger Zeit einen Amazon Fire TV, was die Anschaffung eines Tablets eigentlich überflüssig macht. Dennoch gibt es Situationen, in denen ich meinen Medienkonsum auslagern möchte, um nicht alles auf einem Gerät zu haben. So nutze ich mein Smartphone hauptsächlich zur Kommunikation, sei es über Messenger oder soziale Netzwerke. Audiovisuelle Medien habe ich schon immer woanders genossen, um nicht von Benachrichtigungen auf dem Telefon gestört zu werden oder einfach wegen der besseren Tonqualität, ohne extra einen Bluetooth-Lautsprecher koppeln zu müssen. Nachdem ich mir schon ein Amazon Fire Tablet zugelegt hatte und inzwischen mit dessen Einschränkungen und dem unzureichenden und fehleranfälligen Screenreader immer unzufriedener wurde, wollte ich es nun mit einem richtigen Android-Tablet versuchen. Das Tab Plus von Lenovo kam mir gerade recht.

Sparsames Zubehör

Wie mittlerweile bei vielen Herstellern üblich, wird das Tab Plus ohne Ladegerät ausgeliefert. Lediglich ein zweiseitiges USB-C-Kabel befindet sich im Karton. Lenovo empfiehlt zum Laden des Tablets eine Mindestleistung von 10 Watt und bietet als Zubehör ein 68 Watt starkes Wandladegerät an. Abgesehen von einem Werkzeug zum Öffnen des Kartenschachts und einer Schnellstartanleitung wird kein weiteres Zubehör mitgeliefert. Wer einen Eingabestift, eine Schutzhülle oder eine Tastatur benötigt, zahlt extra.

Design

Das Gerät ist mit 11,5 Zoll recht groß und mit 650 Gramm für manche sicher kein Leichtgewicht, um es längere Zeit im Arm zu halten. Die Bedienelemente und Anschlüsse sind aber gut erreichbar und sinnvoll platziert. Die 8 JBL-Lautsprecher sind an den Schmalseiten des Tablets verteilt, was einen sehr räumlichen Klang verspricht. An der linken Schmalseite befindet sich unterhalb des Lautsprechers ein klassischer 3,5-Zoll-Klinkenanschluss, der mittlerweile bei vielen Geräten gänzlich verschwunden ist. Oberhalb des Lautsprechers befindet sich der Power-Knopf, der bei längerem Drücken standardmäßig den Sprachassistenten startet. Auf der Oberseite befinden sich die Lautstärketasten, das Mikrofon-Array und der Einschub für die Micro-SD-Karte. An der rechten Schmalseite befindet sich unterhalb des Lautsprechers der USB-C-Anschluss. Auf der Rückseite klappt vom unteren Rand ein Kickstand aus, mit dem das Gerät nahezu beliebig positioniert werden kann. Zum Betrachten von Videos bietet sich eine aufrechte Position an, während für Schreibarbeiten eher eine flache Position gewählt werden sollte.

Einrichtung und Konfiguration

Der Einrichtungsprozess unterscheidet sich nicht grundlegend von dem anderer sogenannter Stock-Android-Geräte und muss daher nicht weiter erläutert werden. Nach der Einrichtung von WLAN, Google-Konto und Diensten werden noch einige Lenovo-eigene Dienste und Einstellungen angeboten, die aber bei Nichtgefallen übersprungen werden können. Für unseren Nutzerkreis relevant ist die Tatsache, dass TalkBack bereits während der Einrichtung problemlos nutzbar ist und durch zweimaliges langes Drücken der beiden Lautstärketasten aktiviert werden kann. Nach einmaligem Drücken der Tasten ertönt eine englische Ansage, die zum Loslassen der Tasten und zum erneuten Drücken auffordert, wenn TalkBack aktiviert werden soll. Danach öffnet sich das bekannte Tutorial, das auch vorzeitig beendet werden kann. Für nicht-englischsprachige Benutzer empfiehlt es sich jedoch, die Gerätesprache bis zur WLAN-Einrichtung auf Englisch zu belassen und erst bei bestehender Netzwerkverbindung zur Sprachauswahl zurückzukehren. So vermeidet man, dass das Gerät stumm bleibt, wenn noch keine Stimmen für die gewünschte Sprache installiert sind. Lenovo hat die Android Accessibility Tools als herunterladbaren Dienst installiert, was bei einigen Apps, die auf einen im System korrekt registrierten Screenreader angewiesen sind, zu Problemen führen kann. In der Regel betrifft dies jedoch nur einige sicherheitsrelevante Anwendungen, wie z. B. Online-Banking.

Nach dem Einrichten des Tablets findet man sich in einem Android-Launcher wieder, der weitgehend den Standard-Launchern vieler Hersteller entspricht. Die App-Icons können über einen langen Druck oder die TalkBack-Aktionen bearbeitet werden, ein Wisch mit zwei Fingern nach oben öffnet den App-Drawer mit allen installierten Apps. Wie nicht anders bei einem Entertainment-Tablet zu erwarten, sind einige für uns unnötige Apps vorinstalliert, die sich zumeist aber problemlos deinstallieren lassen. Bei der Einrichtung kann es vorkommen, dass sich zunächst einige Benachrichtigungsfenster über den Launcher legen und zu Fokusproblemen führen, was sich aber nach kurzer Eingewöhnungszeit schnell beheben lässt. Eine auffällige Besonderheit von Lenovo ist eine Taskleiste am unteren Rand, in der wie bei einem Windows-Computer geöffnete oder häufig genutzte Anwendungen abgelegt werden können. Hat man die Systemsteuerung auf die klassischen drei Schaltflächen "Zurück", "Startbildschirm" und "Aktuell" (App-Switch) eingestellt, erscheinen diese auch in der Taskleiste. Ich persönlich finde die Standardeinstellungen der Taskleiste eher überflüssig und manchmal sogar störend. Sie ist nicht Teil des Launchers und kann in den Einstellungen auch nicht komplett ausgeblendet werden. Man kann nur das Verhalten so konfigurieren, dass keine unnötigen Einträge mehr erscheinen, und sie sich wie eine normale Navigationsleiste verhält.

Die Einstellungen unterscheiden sich etwas vom Einstellungsmenü eines Smartphones, da Lenovo hier viele eigene Funktionen untergebracht hat. Auch der Bildschirm ist anders aufgebaut, als man es von einem Smartphone gewohnt ist. Auf der linken Seite befindet sich das Hauptmenü der Einstellungen, während sich auf der rechten Seite des Bildschirms die jeweiligen Einstellungen der ausgewählten Kategorie öffnen. Diese Aufteilung bleibt auch im Hochformat erhalten. Der Fokus landet bei der Auswahl einer Kategorie problemlos in deren Einstellungen. Trotzdem sollte man hin und wieder mit dem Finger den gesamten Bildschirm erkunden, um unterwegs nicht die Orientierung zu verlieren. Leider gibt es im Hauptmenü der Einstellungen ein Problem mit dem automatischen Scrollen der Einträge, so dass man mit einer Wischgeste nachhelfen muss, um wirklich alle Einträge des Menüs zu sehen.

TalkBack-Nutzern wird sofort auffallen, dass die Sprachausgabe mit einem Halleffekt unterlegt ist. Der Grund dafür ist Dolby Atmos, das Filmen und Musik mehr Räumlichkeit verleihen soll. In den Toneinstellungen lässt sich Dolby Atmos bei Verwendung der Tabletlautsprecher zwar nicht abschalten, aber zumindest so konfigurieren, dass der Klang genießbar wird. Hier kann zwischen dynamisch, Film oder Musik gewählt werden, wobei für uns die Einstellung Musik am sinnvollsten erscheint. Außerdem gibt es einen Equalizer, dessen Regler leider nicht zugänglich sind, so dass man nur zwischen den Voreinstellungen wechseln kann.

Der Klang ist durchaus beeindruckend, wenn man an die eher schrill klingenden Lautsprecher anderer Tablets und Smartphones gewöhnt ist. Musik und Sprache werden mit einer Bandbreite wiedergegeben, die kaum glauben lässt, dass man es tatsächlich mit einem nur wenige Millimeter dicken Tablet-Lautsprecher zu tun hat. Natürlich darf man keine übertriebenen Bässe und Höhen erwarten, aber für ein Entertainment-Tablet ist der Klang mehr als ausreichend und übertrifft sogar die Lautsprecher so manches Großbildfernsehers. Das Tablet bietet sogar die Möglichkeit, seine Lautsprecher als Bluetooth-Empfänger für andere Geräte zu nutzen.

Ansonsten gibt es bisher keine weiteren Auffälligkeiten und das Tab Plus lässt sich wie jedes andere Android-Gerät bedienen. Den Standard-Launcher habe ich wegen der besseren Konfigurierbarkeit durch den Nova-Launcher ersetzt. Außerdem habe ich einige TalkBack-Gesten umdefiniert, da ich mit einigen Winkelgesten auf dem großen Display Probleme hatte. In den allgemeinen Einstellungen kann man unter dem Punkt "Schnelle Gesten" einige Systemgesten konfigurieren, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie mit TalkBack kompatibel sind. Für alle Fälle kann man sie aber auch ganz abschalten.

Fazit

Nach einigen Wochen der Nutzung bin ich immer noch sehr zufrieden mit dem Lenovo Tab Plus. Zurzeit steht es auf meinem Nachttisch und dient mir hauptsächlich abends vor dem Einschlafen zum Konsum von Podcasts, Hörspielen oder Dokumentationen. Auch wenn es ein paar kleine Stolpersteine in der Bedienung gibt, sind diese keineswegs unumgänglich und ich kann es bedenkenlos jedem empfehlen, der sich kein Gerät von Samsung, Amazon oder gar das meiner Meinung nach etwas überteuerte Pixel-Tablet zulegen möchte.

Über Steffen

Ich bin seit 2016 mit Android vertraut und ein klarer Fan weitgehend unmodifizierter Oberflächen. Geräte von Motorola, Google und Amazon sind bei mir im Einsatz, aber auch das eine oder andere Spezialgerät abseits des Mainstreams (Ulefone, Inrico etc). F-Droid und allgemein quelloffene Software machen einen großen Teil meiner installierten Apps aus.

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